Pia


Pias Aussage

Pia (54) hat rituelle Gewalt von 0 bis 21 im Graubünden erlebt. Sie sagt: «Ich glaube, ich habe so ziemlich jede Form von Missbrauch, von Folterung erlebt.»


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Wie oder durch wen bist Du in Kontakt gekommen mit ritueller Gewalt?

Ich bin durch meinen Großvater in das Ganze reingerutscht. Er war Freimaurer.

Was sind typische Erfahrungen, die Du als Betroffene(r) gemacht hast?

Ich glaube, ich habe so ziemlich jede Form von Missbrauch, von Folterung erlebt. Das ging hin bis zu Mord, halt auch mit Menschenblut. Ich wurde auch sehr unter Druck gesetzt, dass ich nie etwas sagen darf. Und ich habe auch bis vor ein paar Jahren nie etwas davon gesagt, weil ich alles so gut verdrängt habe. Aber was mich immer begleitet hat, waren meine Schuldgefühle und meine Schamgefühle. Ich wusste gar nicht, von wo das eigentlich herkommt. Sie haben auch mein ganzes Glaubensleben pervertiert. Gott war der Böse gewesen und Satan war der Liebe gewesen.

Was war Deine schlimmste Erfahrung?

Was man bei ritueller Gewalt erlebt, ist so schlimm … Ich kann irgendwie nicht sagen, was das Schlimmste ist. Wenn jemand nur schon ein solches Erlebnis hat, dann reicht das eigentlich schon, um ein Leben zu zerstören oder einen Menschen lenbenslang in eine Psychiatrie zu bringen. Und wir stehen ganz viele solche Rituale durch und überleben es irgendwie. Aber auch nachher, wenn wir nicht mehr dabei sind, geht es in unserem Leben nur um das Überleben, aber nicht um zu leben. Wie gesagt, ich habe ganz viele schlimme Erlebnisse und Erfahrungen gemacht, aber zusammengenommen, das Schlimmste von allem ist, dass mich das bis zum heutigen Tag verfolgt. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich nicht lebe, sondern einfach dass ich überlebe, auch wenn ich schon längst nicht mehr missbraucht werde. Aber so oft habe ich in meinem Alltag nicht situationsbezogen reagiert, sondern habe völlig überreagiert, und niemand wusste warum. Heute weiß ich, dass ich dann immer wieder getriggert worden bin. Und die Therapeutin hatte mir mal gesagt, ich soll doch jetzt einfach mal die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen. Da habe ich noch nicht so viel gewusst, aber ich habe ihr dann gesagt, dass ich meine Vergangenheit dann Vergangenheit sein lasse, wenn sie nicht mehr meine Gegenwart bestimmt. Und ich hatte in den letzten Jahren so viel Hilfe gehabt. Ich merke jedes Ritual, welches gelöst wird, jede Heilung, die ich bekomme, hört auf, meine Gegenwart zu bestimmen. Unterdessen kann ich sagen, dass ich lebe, und nicht, dass ich überlebe. Und dass meine Vergangenheit mehr und mehr eben wirklich Vergangenheit wird, dass ich mehr und mehr in einer lebenswerten Gegenwart lebe.

Wie bringen Täter die Kinder dazu, sich zu fügen?

Sie haben mir gesagt, wenn ich nicht mitmache, dann holen sie meinen kleinen Bruder, und so hatten sie mich. Ich wollte wirklich nicht, dass sie meinen kleinen Bruder holen konnten, dann lasse ich mich lieber quälen und missbrauchen. Dann mach ich lieber bei allem mit. Es ging mir immer darum, meinen kleinen Bruder zu beschützen.

Hast Du zum Abschluss noch ein persönliches Anliegen bzw. eine Botschaft?

Ich wünsche mir, dass Leute, Menschen, die bemerken, dass sie so etwas Schlimmes in ihrem Leben erlebt haben, dass sie sich trauen, Hilfe zu holen. Dass sie sich trauen, sich selber zu glauben und nicht so wie ich … Seit ich 21 Jahre alt bin, habe ich schreckliche Bilder in mir, die ich mir so begründet habe, dass ich eine perverse Fantasie habe. Und uns wurde so eingetrichtert, zu schweigen. Ich glaube, es braucht wie eine Entscheidung, zu reden. Aber dann auch weise sein. Nicht einfach mit irgendeinem Therapeuten drauflos reden, weil sonst besteht die Gefahr, dass es einem ausgeredet wird oder dass gesagt wird, dass man zu viele Horrorfilme gesehen hat und dies dann zum eigenen Erleben gemacht hat. Ich habe es so erlebt, dass ich das einer Seelsorgerin erzählt habe, also Sachen, die dann aufgebrochen waren, die im Nachhinein nicht zu den schlimmsten Sachen gehört haben, aber sie gesagt hat, das hat sie noch nie gehört, das kann gar nicht sein. Dann habe ich für lange Zeit einfach gar nichts mehr erzählt, weil sie mir wie bestätigt hat, dass ich mir das alles nur einbilde und das gar nicht sein kann. Ich wünsche mir, dass solche Menschen Hilfe bekommen und dass sie an die richtigen Stellen geraten.