Laura


Lauras Aussage

Laura (63) hat rituelle Gewalt von 0 bis 14 Jahre in Bayern erlebt. «Mit der Pistole am Kopf wurde ich gezwungen, ein anderes Baby zu töten», sagt sie.


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Wie oder durch wen bist Du in Kontakt gekommen mit ritueller Gewalt?

Durch meine Eltern. Sie waren aktive Mitglieder bei der NPD, also bei dieser Nazi-Partei. Dadurch bin ich eingezogen worden, und die Täter haben hauptsächlich aus diesen Kreisen gestammt. Das waren alles vorwiegend NPD-Mitglieder. Nicht nur, aber bei mir war das so.

Was sind typische Erfahrungen, die Du als Betroffene gemacht hast?

Es ist schwierig, weil es einfach sehr, sehr viele Erfahrungen sind, und ich nenne halt einfach mal ein bisschen was, also an was ich mich erinnern kann, dass ich oft unter Tabletten gesetzt worden bin, und dass die Taten an verschiedenen Orten stattfanden, also Keller, Scheunen, irgendwelche Hallen. Es ist immer nicht so leicht auszusprechen, aber ich kann mich auch an einen Ritualmord erinnern, an ein Baby, das sechs Monate alt war [d.h. im sechsten Schwangerschaftsmonat entnommen wurde] und noch an der Nabelschnur hing, und ich dann mit Pistole am Kopf gezwungen wurde, das Baby – da will ich jetzt gar nicht näher darauf eingehen – jedenfalls zu töten. Ich habe so unterschiedliche Geschichten. Also auf der einen Seite diese Täter, die in schwarzen Kutten gekleidet waren. Auf der anderen Seite gab es auch Täter, wo mein Vater mich sozusagen weitergereicht hat, an verschiedene Männer verkauft hat. Das war dann öfter am Hauptbahnhof. Oder dass sie sich sonst irgendwo verabredet haben und ich dann bei beiden mit dabei sein musste. Also ich habe so beide Erinnerungen. Auf der einen Seite die rituelle Gewalt, und auf der anderen Seite dieses Verkauftwerden als Kind an fremde Männer. Es war halt viel mit schwerster körperlicher Gewalt, mit Folter, verbunden. Ich erinnere mich, dass man mit Nadeln in meine Körperöffnungen gestoßen hat. Messer. Tiere. Ich musste meine eigene Katze als Kind mit einem Messer aufschlitzen. Es ist schwer. Es sind einfach ganz, ganz viele, weil es ist ja über 14 Jahre gewesen. Es sind einfach ganz, ganz viele Erinnerungen.

Wo und in welchem Rahmen hat das stattgedunden?

Tagsüber habe ich ein ganz normales Leben gelebt als ganz normale Schülerin, die ganz brav und artig in die Schule gegangen ist und eigentlich immer sehr unauffällig war. Also diese ganze Schulllaufbahn war ganz normal. Es waren wie so zwei Leben, die ich nebeneinander leben musste. Tagsüber war ja ein anderer Anteil da. Ich habe ja diese dissoziative Identitätsstörung [DIS]. Der Anteil, das Kind, das tagsüber da war, wusste überhaupt nicht, was zu den anderen Zeiten alles so passiert ist. Später, so nach der Schule, hatte ich eine Berufsausbildung. Ich habe in einem hochqualifizierten Beruf gearbeitet, hatte auch viele Leitungsstellen, verschiedene Einrichtungen aufgebaut. Ich wusste das alles – [aber] es [d.h. meine Erinnerung an rituelle Gewalt] war alles absolut weg. Es war nicht im Kopf. Was halt immer schon da war, dass ich immer wieder mal depressiv war, und relativ früh dann, was heißt früh, mit 25 eine Therapie begonnen habe, aber da war das gar kein Thema, sondern die sogenannte „ganz normale“ schreckliche Kindheit mit körperlicher Gewalt und vernachlässigt werden und so. Das war so im Kopf. Aber diese rituelle Gewalt, die erinnerte ich dann viel, viel später, die war komplett weg.

Was war Deine schlimmste Erfahrung?

Es gibt einfach sehr viele ganz schlimme Erfahrungen, das ist irgendwie ganz schwer zu sagen. Alles war irgendwie grauenvoll. Aber was mir so im Kopf ist, und ich muss dazu sagen, ich kann da jetzt einfach auch so darüber reden, – ich konnte Jahrzehnte ja gar nicht darüber reden – weil ich ja einfach seit Jahrzehnten in Therapie bin und auch DIS-Therapie und Konfrontationstherapie gemacht habe, darum kann ich jetzt darüber reden. Das war mir vorher überhaupt nicht möglich. Obwohl ich die ganzen Erinnerungen schon gehabt habe. Ich konnte nicht darüber sprechen. Die schlimmste Erfahrung. Das Alter von mir kann ich nicht mehr genau sagen, aber ich glaube, da war ich so sechs. Das war auf jeden Fall, bevor ich in die Schule gekommen bin. Da musste ich mit dabei sein, wie ein Kind in meinem Alter, oder ein bisschen kleiner, zu Tode gefoltert worden ist, und ich gemeinsam mit dem Kind in einen Sarg gelegt wurde, und der Sarg wurde zugenagelt. Und ich musste schweigen. Ich durfte weder schreien noch weinen oder mich sonstwie zur Wehr setzen. Dann hätte ich eine Chance, wieder rauszukommen aus dem Sarg. Ja, ich war dann einfach in diesem Sarg gelegen. Seitdem ist auch immer meine komplette linke Körperseite verspannt, weil das andere Mädchen lag auf der linken Seite und ich habe mich ganz, ganz arg schmal gemacht, damit ich das Mädchen nicht berühre. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange ich da drin war in dem Sarg. Irgendwann mal wurde er aufgemacht, und da standen diese Täter da, unter anderem mein Vater, der hat mich dann ganz liebevoll in den Arm genommen. Und ich kann mich erinnern, dass ich als Kind dann meinen Vater als Retter empfunden habe. Natürlich jetzt als Erwachsene weiß ich ja, ohne ihn wäre ich ja gar nicht in der Situation gewesen und dabei gewesen. Er ist ja dann kein Retter. Aber als Kind erlebt man das so. Ich war ihm wahnsinnig dankbar, und ich glaube, die wollten auch so meine Verbindung zu ihm noch vertiefen. Aber ob das die schrecklichste Erinnerung war? Die fällt mir halt jetzt so ein. Es gibt einfach sehr viele sehr schlimme Erinnerungen.

Wie bringen die Täter die Kinder dazu, sich zu fügen?

Es war immer eine massive Bedrohung mit Tod da, also dass man mir dann das Leben nimmt, dass ich niemals darüber reden darf, das war halt immer da. Natürlich wurde ich auch ganz schwer gefoltert und es wurde mir angedroht, dass das wiederholt wird. Ja, mit 14, also das hat bis zum 14. Lebensjahr gedauert. Ich weiß ja jetzt auch mittlerweile, dass sowohl mein Bruder als auch meine Schwester Opfer waren. Und mein Bruder ist zum Täter geworden. Mit 14 war so ein Ereignis, da bin ich ihnen zu gefährlich geworden. Da kann ich jetzt nicht weiter ausholen, das würde jetzt länger dauern. Auf jeden Fall wussten sie dann, ich bin kein gutes Opfer mehr. Und ich war auch unwichtiger – sagen wir mal so – als mein Bruder in dem ganzen Gefüge. Und von da an hat man mich in Ruhe gelassen mit 14.

Hast du zum Abschluss noch ein persönliches Anliegen bzw. eine Botschaft?

Eine Botschaft ist auf jeden Fall, dass man uns Opfern glaubt. Ich selber kann von mir sagen, ich habe sehr großes Glück gehabt. Seit vielen Jahren – Jahrzehnten eigentlich – mache ich Therapie, und hatte immer das Glück, an Menschen zu kommen, die mir glaubten, also auch in dem Traumazentrum, in dem ich war, und konnte dadurch ganz viel verarbeiten. Aber es ist trotzdem eine lebenslange Geschichte. Also es hört nie auf. Ich habe auch eine Tochter, die autistisch ist, und die hat sich mit 14 mir anvertraut. Nachdem ich dann mit 14 in Ruhe gelassen worden bin, bin ich mit 19 Mutter geworden. Und durch meine Eltern ist meine Tochter in den Kult geraten. Und sie hat dann – sie spricht nicht – mit 14 hat sie sich dann mir anvertraut über viele Jahre. Da sind bei mir dann auch die Erinnerungen gekommen. Zu meiner und zur Sicherheit meiner Tochter, die sich auch an dem Projekt hier beteiligt, also wir haben schon sehr früh alles aufgeschrieben, haben es hinterlegt beim Notar, beim Anwalt hinterlegt, und auch bei ganz vertrauenswürdigen Freunden mit Täternamen und den Ereignissen. So haben wir das alles schriftlich niedergelegt. Und sollte mir oder meiner Tochter irgendetwas passieren, dann würde das wirklich sofort weitergereicht werden. Dann würde das sofort offengelegt werden mit Namen usw. Was mir aber wichtig ist: Ja, ich habe einen Glauben. Also ich glaube. Ich glaube, das hat mich auch gerettet. Also ich glaube an Gott, also eher das spirituelle Christentum. So an die Wiedergeburt. Davon bin ich überzeugt, dass alle Täter in irgendeiner Form bestraft werden in irgendwelchen anderen Leben. Was gut ist an dem Ganzen: Ich habe, glaube ich, ein ganz gutes Gespür für das Böse entwickelt. Und ich bin nicht mehr manipulierbar. Also man kann mich nicht mehr manipulieren, weil diese Gehirnwäsche, das funktioniert bei mir nicht mehr. Ich danke einfach allen Menschen, die dieses Projekt jetzt hier ermöglichen. Ich finde das sehr, sehr wichtig, gerade weil jetzt so eine Gegenbewegung da ist.