Karin


Karins Aussage

Karin (52) hat rituelle Gewalt in der Schweiz im Alter von 3 bis 8 erlebt. Nach allen Quälereien habe ihr der Großvater gesagt: „Gell, du bist ein braves Mädchen! Brave Mädchen verraten nämlich nichts.“ Das hatte sie verstanden, und niemandem etwas erzählt.


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Wie oder durch wen bist Du in Kontakt gekommen mit ritueller Gewalt?

Durch meine Familie. Durch meinen Großvater bin ich in diese Kreise hineingekommen. Das waren auch Freimaurer. Und mein Vater war auch ein Täter, und ein Nachbar von uns, also ein Vater von einer ehemaligen Kinderfreundin.

Wo und in welchem Rahmen hat das stattgefunden?

Also, was ich weiß, ist meine Freundin, also meine Kinderfreundin, sagte mir, ich soll zu ihr nach Hause kommen. Ich musste mich in ihrem Zimmer nackt ausziehen und so vor ihrem Vater erscheinen. Er hat brennende Zigaretten auf meinen Oberschenkel ausgedrückt und solche Sachen. Bei meinem Vater geschah sexueller Missbrauch, bei meinem Nachbar, und auch bei meinem Großvater. Bei meinem Großvater war das im Netstal, also im Glarnerland. Dort war ich 4 Jahre alt und ich hatte oft Heimweh. Ich war in den Ferien oft bei ihnen, weil meine Mutter meine Schwester geboren und viel Blut verloren hatte darum war ich viel bei meinen Großeltern in den Ferien. Dort sind diese Sachen passiert. Also das ist das, was ich nachher gewusst habe, wie soll ich es sagen, im Alltagsleben. Aber nacher kamen eben Erinnerungen an rituelle Erlebnisse, die abgespalten waren.

Warum hast du geschwiegen?

Weil mein Großvater gesagt hat: „Du bist ein braves Mädchen, und brave Mädchen verraten nichts.“ Und dann sagte er: „Gell, mein Mädchen, das hast du verstanden.“ Und das hatte ich wirklich verstanden, weil es wäre mir nie in den Sinn gekommen, das irgendjemandem zu erzählen. Es gab auch psychia… Mein Vater war schizophren, und es gab dann natürlich eine Familietherapie, und dort hätte ich dann erzählen sollen, warum ich immer den Kopf drehe, wenn mir mein Vater ein Küsschen auf die Backe geben wollte oder warum ich nicht auf seinem Schoß sitze, und mich immer so wehre, und ich konnte das doch nicht einfach sagen. Dann hat man die Familien-Therapie abgebrochen, weil ich nie geredet habe, ich habe immer nur geschwiegen. Nacher, als ich schon verheiratet war und Kinder hatte, sind dann nach und nach solche Erinnerungen gekommen, plötzlich. Also ich war auch in einer Psychotherapie und bin aber nie nachhaltig stabil geworden. Und in dieser Zeit, in diesen vielen Jahren, es waren 10 – 12 Jahre, sind dann immer mehr Erinnerungen gekommen, also an die „normalen“ Übergriffe. Und dann vor sieben Jahren habe ich eine spezifische Traumatherapie angefangen. Dort sind dann Erinnerungen an rituelle Erlebnisse gekommen.

Wie sehen diese Erinnerungen konkret aus?

Da waren etwa 20 – 30 Mädchen und 20 – 30 Jungen involviert. Ich habe Jesus gefragt, woher kommen all diese Kinder. Ich verstand nicht, woher all diese Kinder kommen. Und er sagte: Vietnam. Wirklich, er hat das so … Das war einfach da: Vietnam. Dann googelte ich „Vietnamkrieg“, das war ca. 1964 – 1978, irgendwann dann war dieser Krieg. Dann schaute ich wegen Flüchtlingen. Die Schweiz hat Flüchtlinge aus Vietnam aufgenommen. Wahrscheinlich waren das Flüchtlingskinder, die man da hineingenommen hatte. Und da liegen dann diese Jungen auf einem Tisch und dann hat man ihnen die Penisse abgeschnitten. Also das heißt, ich musste sie abschneiden. Zuerst mit Handführung von den Tätern, die ersten 3 – 4, und dann musste ich es selber machen. Ich wusste nicht, was sie mit den Jungen später gemacht haben. Also die sind alle gestorben. Dann lagen da 20 – 30 Mädchen auf dem Tisch. Und da waren diese Penisse, also diese verbluteten Penisse, und ich musste sie jedem Mädchen in die Vagina hineinstecken. Und zwischendurch musste ich mich auf den Boden legen und sie haben mir Penisse reingesteckt, also immer nach jedem Mädchen haben sie es bei mir gemacht, und dann musste ich es wieder machen. Ich nehme an, dass es so etwas wie ein Übergabe-Blutritual war, ich weiß es nicht genau.

Wie bringen Täter die Kinder dazu, sich zu fügen?

Ich wurde dazu gezwungen, ich hatte überhaupt keine Wahl. Also ich weiß noch, wie ich mich bei vielen Ritualen zuerst geweigert hatte, und dann wurde ich halt bestraft und geschlagen. Man hatte einfach keine Wahl, man musste einfach.

Gibt es Missverständnisse in der Öffentlichkeit zu diesem Thema?

Ja, vor allem dieser Mist, dass solche Erinnerungen von Therapeuten einsuggeriert werden. Natürlich kann es sein, dass es einzelne Fälle gibt, aber nicht im großen Stil. Weil diese Erinnerungen kommen einfach im Alltag, und es gibt sehr viele Betroffene, die keine Therapeuten haben, und trotzdem solche Erinnerungen haben. Und darum ist das einfach Nonsens, wenn man sagt, dass die von Therapeuten einsuggeriert werden.

Kannst du sagen, dass die Therapie dir dabei geholfen hat, an deine Erinnerungen zu gelangen?

Ja, das kann ich, weil ich mal eine Woche lang Intensivtherapie hatte, also jeden Tag. Und in dieser Woche habe ich nachts ganz schlecht geschlafen, und dann sind eben solche Bilder gekommen, und diese habe ich ihr dann erzählt. Von solchen schwarzen Gestalten. Sie fragte mich dann, sind die in der Luft oder am Boden. Und ich sagte am Boden. Da machte sie große Augen. Sie sagte zuerst aber nichts weiter darüber. Sie sagte einfach nichts. Aber für sie war es klar, dass da etwas dahinter ist. Sie hatte aber gewartet, bis mehr Erinnerungen gekommen sind, bis ich mehr erzählt habe. Dann war es einfach klar.

Hast du selbst zu deinen Erinnerungen recherchiert?

Ja genau. Ich hatte eine Erinnerung mit Säuen, weil ich bin vom Säuliamt, von Obfelden. Da waren viele Rituale in meinen Erinnerungen mit Säuen. Ich hatte eine Erinnerung an eine bestimmte Scheune. Wir gingen dann zusammen auf die Suche in Obfelden und fanden sie auch. Als ich dort drinnen stand, ist mir wirklich anders geworden. Ich wäre am liebsten schreiend herausgerannt, aber habe es dann einfach ausgehalten, dort drinnen zu bleiben, bis die Frau fertig erzählte, was jetzt da drinnen ist und so, wem diese Scheune jetzt gehört.

Hast Du zum Abschluss noch ein persönliches Anliegen bzw. eine Botschaft?

Bei diesen schlimmen Erlebnissen spaltet man das Gehirn ab, und in diesen Erinnerungen, die dann heraufkommen, ist es immer so, dass meine inneren Anteile, die in diesem Alter abgespalten sind, sterben wollen. Es ist einfach diese Hilflosigkeit, die Machtlosigkeit, und die Verzweiflung, das ist einfach sehr, sehr schlimm! Und das ist das, was ich sagen wollte, dass einfach das Leben fast nicht zu bewältigen ist, weil man immer das Gefühl hat, man muss doch sterben, und man hat das Leben nicht verdient, und dass es keine Zukunft gibt. Ich hatte lange, lange, Tag und Nacht, jahrzehntelang Suizidgedanken gehabt und wusste aber, dass ich das nicht will, einfach auch meinen Kindern das nicht antun will, aber ich wusste einfach nicht, wie ich überleben soll, geschweige denn ein erfülltes Leben führen. Und dann, als ich in die Traumatherapie gegangen bin, nach einem Jahr Prozess hatte ich keine Suizidgedanken mehr.