Carina (63) hat im Alter von 0 bis 20 Jahren rituelle Gewalt an verschiedenen Orten in Deutschland erlebt. Erste Flashbacks setzten erst mit 51 Jahren ein und brachten sie zurück in Käfige und Verschläge.
Wie oder durch wen bist Du in Kontakt gekommen mit ritueller Gewalt?
Ich bin in eine entsprechende Familie reingeboren worden, Logenmitglieder. Die ganze Ahnenreihe väterlicherseits. Das waren alles hohe Militärs, Adel, teils deutscher Hochadel. Zum Beispiel mein Urgroßvater war ein ganz hoch dekoriertes militärisches Tier, sag ich jetzt mal, unter Kaiser Wilhelm II. Und alle seine Vorfahren ebenfalls hohe Militärs, Regierungsbeamte, und das ist weit zurück verfolgbar. Wir haben einen großen Stammbaum, wir haben ein eigenes Wappen. Und mütterlicherseits bestanden sehr enge Verbindungen zum US-Militär nach dem zweiten Weltkrieg.
Was sind typische Erfahrungen, die Du als Betroffene(r) gemacht hast?
Also zunächst mal, so das vermeintlich ganz normale Leben. Ich habe mich aber immer irgendwie als Außenseiterin oder irgendwie anders gefühlt als andere. Ich war irgendwie nie irgendwie zugehörig. Und dann sind da die komplett fehlenden Erinnerungen an meine Kindheit. Meine Erinnerung setzt so im Alter von zwölf Jahren etwa ein, vorher ist da überhaupt gar nichts. Das ist ein dunkles Loch. Da ist kein Geburtstag, kein Weihnachten, keine Einschulung, keine Freunde, keine Spielsachen, keine Gesichter, Namen. Da ist einfach ein schwarzes Loch. Dann hatte ich mit 51 Jahren den ersten körperlichen Zusammenbruch, danach einen seelischen Zusammenbruch, habe nicht mehr arbeiten können. Körperliches konnte nicht wirklich gefunden werden. Ich bin dann irgendwann etwas zur Ruhe gekommen, und da fingen dann die Flashbacks an. Wirklich aus heiterem Himmel, das erste Mal war 2016. Da wurde ich dann von so einem Flashback überfallen und habe es natürlich erst mal gar nicht glauben können. Überhaupt nicht. Ich wusste nicht, wo das herkommt. Ich habe das dann auch wahrscheinlich eine ganze Zeit lang erstmal verdrängt. Doch diese Flashbacks kamen dann immer öfter und immer heftiger. Und dann kam natürlich die Erfahrung, dass einem, wenn man das dann erzählt, das wird einem natürlich nicht geglaubt. Die Leute glauben einem nichts. In einem der ersten Flashbacks, da wurde mir offenbart, sage ich jetzt mal, dass ich mich einmal meiner Grundschullehrerin anvertraut hab. Da hat sich dann herausgestellt, dass sie mit meinem Vater ein Verhältnis angefangen hat und auch in den Kult involviert war. Sie ist uns dann an unseren neuen Wohnort, also ungefähr 500km weit weg, gefolgt, ist also quasi mit uns zusammen umgezogen. Ich habe jetzt vor einiger Zeit versucht, diese Lehrerin in den letzten Jahren zu finden. Ich finde nichts über sie. Es ist, als wenn diese Frau nie existiert hat, auch nicht bei den Schulbehörden. Ich habe aber ihre gut lesbar unterschriebenen Schulzeugnisse. Was dann noch wichtig ist, was mir auch schon in den ersten Flashbacks klar wurde, also beteiligt waren unter anderem mein Großvater väterlicherseits sowie die Stiefgroßmutter mütterlicherseits. Also beide Familienstränge waren beteiligt. Diese Flashbacks wurden immer schlimmer. Das überfällt mich, egal wo ich gerade bin, was ich gerade mache. Einmal ist es mir tatsächlich in der Küche beim Zwiebeln schneiden passiert, da kam ein Flashback. Das sind ein paar Sekunden oder auch vielleicht nur Bruchteile von Sekunden. Da befinde ich mich einfach wieder in dieser Szene, die ich dann mal erlebt habe. Also da in der Küche, da habe ich mich dann irgendwann auf dem Boden wiedergefunden. In den Flashbacks sehe ich sehr unterschiedliche Dinge. Also zum Beispiel total verängstigte Kinder in Holzverschlägen, in Käfigen, in einer Art Keller eingesperrt. Mich selber auch in so einem Verschlag, frierend, hungernd, teilweise verwahrlost, dreckig, teilweise blutverschmiert. Manche der Kinder sind völlig apathisch, andere weinen und schreien ganz verzweifelt, andere wimmern vor sich hin. Dann bin ich bei Vergewaltigungen von anderen Kindern dabei, Jungen wie Mädchen. Verschiedene Alter, verschiedene Räumlichkeiten, meist durch mehrere Männer, aber es sind auch Frauen aktiv mit dabei. Und dann kamen nach einer gewissen Zeit die Flashbacks, die dann diesen rituellen Hintergrund hatten. Ich sehe dann zum Beispiel – oder finde mich wieder – in einer Art Messe. Ich kann es nur so bezeichnen, weil das wäre so das Naheliegendste, was mir da in den Sinn kommt. Also ich sehe dann Personen in Kutten mit riesigen Kapuzen, meist in schwarz. Also Kapuzen, die das ganze Gesicht verdecken, die also wirklich ganz weit über den Kopf gezogen sind. Die sind dann meist schwarz, manchmal sind sie weinrot. Dann gibt es da Gemurmel, wie entweder Gebete oder auch mal wie Gesänge. Es gibt meistens oder eigentlich immer eine Art Altar aus Stein mit dunklen Flecken drauf. Ich war auch schon bei rituellen Opferungen dabei. Zum Beispiel ein junges Mädchen lag auf diesem Altar, vielleicht 12 oder 13 Jahre alt. Diesem Mädchen wurde das Herz herausgerissen und das musste dann von den Anwesenden – also die Kuttenträger und noch ein paar Kinder wie ich – gegessen werden. Bei dem Flashback war ich ungefähr 8 Jahre alt.
Wo und in welchem Rahmen hat das stattgefunden?
Viel kann ich dazu noch nicht sagen. Ich sehe in den Flashbacks Wohnungen, Häuser, die ich nicht bewusst kenne. Das sind von der Einrichtung, vom Stil her, von gut bürgerlich bis gehoben, teilweise sogar so was wie Luxus. Dann gibt es sowas wie private Partys, also im privaten Rahmen. Partys mit vielen Erwachsenen und vielen Kindern. Und dann sowas was wie eben diese Messen, die sind dann in sehr großen Räumlichkeiten. Es könnten Kirchen sein, es könnten Gewölbekeller sein, das kann ich noch nicht so richtig definieren. Zum Beispiel bei diesem Flashback, was ich vorhin erzählt habe, mit diesen Opferungen: Dieses Mädchen, was da geopfert wurde, die war weggetreten, die war nicht da, die war weggetreten. Die hat noch gelebt, aber nur ganz leise vor sich hin gewimmert. Und auch wenn man ihr wahnsinnige Schmerzen zugefügt hat, sprich ihren Bauch aufgeschnitten hat, Gewimmer. Also kein Schreien, die muss betäubt gewesen sein. Ich bemerke Programme, die greifen bei bestimmten Triggern oder bestimmten Situationen, wo dann regelrechte Programme ablaufen. Von den Einprogrammierungen an sich weiß ich noch nicht viel. Ich weiß, das ist mir neulich gerade erst aufgefallen, einmal ist da „Wizard of Oz“, der Film. Ich weiß, dass ich diesen Film nie gesehen habe, ich kenne ihn trotzdem in und auswendig. Hört sich völlig bescheuert an, ist aber so, also den muss ich gesehen haben. Dann ist mir neulich auch – also nicht neulich, schon länger her – etwas aufgefallen. Ich bin alles andere als ein Opern-Fan. Mein Vater war ein großer Opern-Fan. Alle gängigen Opern kannte der auswendig. Den Gefangenenchor von Nabucco, da kannte ich das Thema, das hört man ja immer mal wieder, ist ja auch recht schön. Jetzt habe ich vor einiger Zeit einen Film gesehen, wo die ganze Arie ablief, und ich konnte die mitsingen. Ich habe die Oper nie gesehen, ich habe das nie angehört komplett in meinem Wissen, in meinem wissenden Leben. Ich weiß, es ist ganz blöd zu erklären, aber ich konnte die Arie mitsingen. Ich kannte den Text, ich kannte jeden Ton, und habe sie bewusst noch nie gehört.
Was war Deine schlimmste Erfahrung?
Die schlimmste Erfahrung, kann ich sagen, ist ein sehr, sehr schlimmer Flashback, den ich noch nicht aussprechen kann. Ich habe mich schwer getan, ihn aufzuschreiben, also ihn auszuformulieren, dafür habe ich ein paar Tage gebraucht. Ich kann das kann das noch nicht erzählen, das kriege ich noch nicht hin. Also das wird jetzt eingeblendet.
Hast Du zum Abschluss noch ein persönliches Anliegen bzw. eine Botschaft?
Da gibt es eigentlich eine ganze Menge. Ich will mich hier aber auf die wichtigsten Sachen beschränken. Also erstmal, der Ausdruck „Kinderpornografie“, der muss weg, der muss unbedingt weg. Es ist immer und ausnahmslos Darstellung von Gewalt an Kindern. Für Pornografie können sich erwachsene Menschen selbst entscheiden, Kinder können das nicht. Es ist immer Missbrauch und Gewalt, deswegen muss dieser unsägliche Ausdruck weg. Da muss etwas anderes gefunden werden – oder sexuelle Gewalt, aber nicht Kinderpornografie. Das gibt es nicht. Und dann eine Botschaft, wenn jemand selber betroffen ist: Ihr da draußen, wenn ihr selber betroffen seid, brecht euer Schweigen, wenn ihr irgendwie könnt. Und alle anderen, die nicht beteiligt sind, aber bitte verschließt nicht länger eure Augen und Herzen. Glaubt den Menschen, die euch Derartiges erzählen. Wir denken uns das nicht aus, warum sollten wir denn? Lasst uns auch bitte nicht fallen, wenn wir euch als Freunde etwas erzählen. Freunde sind für ein stabiles Umfeld so wichtig. Das verletzt und retraumatisiert uns aufs Allerallerschlimmste, wenn uns das Vertrauen, was wir so mühsam gefasst haben, einfach wieder entzogen wird. Danke.